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15.09.2015

Betriebsratstätigkeit – Arbeit oder reines Ehrenamt?

News / erstellt von Tobias Fischer

LAG Niedersachsen, 20.04.2015 – 12 TaBV 76/14

In diesem gerichtlichen Beschlussverfahren stritten Arbeitgeber und Betriebsrat über die Frage, in welchem zeitlichen Umfang Betriebsratsmitglieder verpflichtet sind, nach einer Betriebsratssitzung am selben Tag zusätzlich im Rahmen der durch den Dienstplan disponierten Arbeitszeit zu arbeiten.

Der Betriebsrat plante an einem bestimmten Tag die Durchführung einer Betriebsratssitzung ab 08.00 Uhr. Ein Mitglied des Betriebsrats war gemäß der zuvor angefertigten Schichtplanung an jenem Tag für die um 20.15 Uhr geplante Spätschicht disponiert. Jenes Mitglied nahm an der Betriebsratssitzung teil, ging nach deren Ende der regulären Arbeit nach, verließ aber um 17.36 Uhr die Arbeitsstätte.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass die Zeiten der Betriebsratssitzung und der am selben Tag erfolgten Arbeitsleistung unterschiedslos zusammengerechnet werden müssten, um die Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes zur Geltung zu bringen.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat entschieden, dass § 3 Arbeitszeitgesetz (Regelung zur maximalen werktäglichen Arbeitszeit) nicht unmittelbar und starr auf Zeiten der Ausübung von Betriebsratstätigkeit anzuwenden ist.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen begründet seine Entscheidung im Wesentlichen so: Betriebsverfassungsgesetz und Arbeitszeitgesetz nehmen bezüglich der Betriebsratstätigkeit nicht aufeinander Bezug. Das Amt des Betriebsrats ist ein Ehrenamt. Die dafür aufgewendete Zeit ist keine Arbeitszeit im Sinn des
§ 2 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz. Eine andere Betrachtung würde zu schwer auflösbaren Konfliktsituationen führen, wenn der Arbeitgeber versuchen müsste, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes auch gegenüber dem Betriebsrat durchzusetzen, also in dessen autonome Arbeitsorganisation eingreifen müsste. Es liegt im Rahmen des Ehrenamtes in der Verantwortung des Betriebsrats zu entscheiden, welche Anstrengungen der Betriebsrat sich noch zumutet und ab welchem Zeitpunkt er dem Erholungsbedürfnis seiner Mitglieder Vorrang gewährt. Außerdem ist Adressat der Bußgeld- und Strafvorschriften (§ 22, 23 Arbeitszeitgesetz) ausschließlich der Arbeitgeber. Wenn Betriebsratsarbeit umstandslos als Arbeitszeit im Sinn des Arbeitszeitgesetzes zu bewerten wäre, geriete der Arbeitgeber hier in die Haftung, ohne dass er etwaige Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz angesichts der eigenständigen Amtsführung durch den Betriebsrat verhindern könnte.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen präferiert deshalb eine vermittelnde Lösung: Die Maßstäbe des Arbeitszeitgesetzes sind bei der Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber in Zusammenschau der Betriebsratstätigkeit und der dienstlichen Verpflichtungen mittelbar zu beachten. Nimmt ein Betriebsratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so hat er gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung. Eine Unzumutbarkeit liegt in der Regel dann vor, wenn bei Zusammenrechnung der für die Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit den persönlichen Arbeitszeiten die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3 Arbeitszeitgesetz überschritten werden würde. Im Einzelfall sind Konstellationen denkbar, bei denen es den Betriebsratsmitgliedern zuzumuten wäre, auch bei Zusammenrechnung der Zeiten der Betriebsratstätigkeit und der arbeitsvertraglich übertragenen Tätigkeit die Grenzen des § 3 Arbeitszeitgesetz geringfügig zu überschreiten. Eine solche Konstellation kann beispielsweise vorliegen, wenn entweder die Zeiten der Betriebsratstätigkeit von geringer Intensität oder von erheblichen Beratungspausen unterbrochen sind oder aber, wenn die im Anschluss noch zu erbringende betriebliche Tätigkeit aufgrund einer Notlage des Arbeitgebers (z. B. Personalengpass aufgrund eines unerwartet hohen Krankenstandes) noch dringend erforderlich ist.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, weil die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Streitfrage steht aus.