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15.02.2015

Abmahnung vor krankheitsbedingter Kündigung?

News / erstellt von Tobias Fischer

Landesarbeitsgericht Hessen 18.03.2014 – 13 Sa 1207/13

Die 1961 geborene Klägerin ist seit 1985 als Sachbearbeiterin beschäftigt. Seit 2007 verhielt sich die Klägerin auffällig.

Die Arbeitgeberin schildert, die Klägerin verhalte sich gegenüber Mitarbeitern abweisend und aggressiv und leide unter Verfolgungswahn. Die Klägerin selbst habe behauptet, dass Management überwache und verfolge sie und füge ihr Schmerzen zu. Sie dusche nur noch mit Kleidung, da ihr Haus durchleuchtet werde. Anfang 2008 unterzog sich die Klägerin einer psychologischen Behandlung und nahm in der Folgezeit Medikamente ein. Im September 2010 erklärte die Klägerin im Rahmen eines Gesprächs mit der Vorgesetzten, sie werde innerhalb und auch außerhalb ihrer Wohnung verfolgt. Auf Nachfrage der Vorgesetzten teilte die Klägerin mit, sie nehme keine Tabletten mehr. Die Verhaltensauffälligkeiten nahmen zu. Die Arbeitgeberin versuchte die Klägerin davon zu überzeugen, einen Arzt aufzusuchen bzw. sich wieder entsprechend behandeln zu lassen. Die Klägerin lehnte eine Überweisung bezüglich einer psychologischen Untersuchung/Behandlung ab und teilte mit, sie sei gesund und biete ihre Arbeitskraft an. Die Arbeitgeberin erklärte wegen der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages und daraus folgender ordentlicher Unkündbarkeit die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

Das LAG Hessen bestätigt die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung durch das Arbeitsgericht. Die Prüfung der außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 BGB ergebe zwar, dass ein wichtiger Grund vorliege, der an sich geeignet sei, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen; die Klägerin leide augenscheinlich an einer psychischen Erkrankung, die ihr ein sozialadäquates Verhalten schwer bis unmöglich mache.

Jedoch falle die Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles zugunsten der Klägerin aus. Es hätte einer erfolglosen Abmahnung bedurft, bevor die außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird. Der Zweck der Abmahnung kann zwar nur dann erreicht werden, wenn es um ein steuerbares Fehlverhalten des Arbeitnehmers geht und deswegen von der Möglichkeit einer künftigen vertragskonformen Erfüllung der arbeitsvertraglichen Beziehung auszugehen sei. Im Bereich krankheitsbedingter Kündigungen erscheine dies oft problematisch, da Erkrankungen in aller Regel schicksalhaft verlaufen und nicht steuerbar seien. Dennoch könne auch bei diesen Kündigungen nicht pauschal von dem Erfordernis einer Abmahnung abgesehen werden.

Eine Abmahnung sei geboten, wenn der Arbeitnehmer den personenbedingten Kündigungsgrund durch steuerbares Verhalten beseitigen könne. Hier hätte die Klägerin durch eine entsprechende psychologische Behandlung und Medikation wieder zu einem sozialadäquaten Verhalten zurückfinden können. Die Klägerin sei nicht so krank, dass ihr durch eine Abmahnung das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes bei weiterer abgelehnter Therapie nicht vermittelbar wäre.